In meinen Arbeitstag schauen die Almen und bewaldete Vulkanberge herein. Wenn ich des Morgens erwache, erblicke ich durch die Fenster unserer Schlafstube die Koralpe. Freilich nicht immer, aber wenn unten im Trössengraben noch der herbstliche Nebel liegt, ist der Himmel bei uns heroben bereits klar und der Ausblick weit. Trete ich hinaus, die Pferde zur Koppel zu bringen und Heu in die Raufe unserer Ziegen nachzulegen, grüßen mich von Süden die beiden Gleichenberge und, jenseits von Kirchberg und des Raabtales, die Riegersburg mit ihrem steil abfallenden, imposanten Felsen. Und wenn es die Klarheit gar sehr gut meint, dann tritt im Nordosten das Wechselgebirge mit seinen unbewaldeten, karg bewachsen anmutenden Höhen empor. An manchen Tagen glaubte ich schon, mit meinem sehr guten Zenith – Feldstecher von Baujahr 1935, die Wallfahrtskirche in Sankt Corona erblickt zu haben, was jedoch, allein der großen Entfernung wegen, schon schwer möglich und vorstellbar ist.
Der junge Herbstmorgen ist meilenweit gekrönt von flutendem Sonnenlicht und heiliger Stille. Das Leben auf einer Anhöhe und der damit verbundene Weitblick öffnet einem nicht nur die Gedanken, sondern auch das Herz. In meiner ehemaligen Heimat, einem des Sommers sehr belebten und dicht besiedelten Kurort nördlich der Alpen, fühlte ich mich in den vergangenen Jahren beengt und unfrei. Wie so mancher Einheimische dort, hatte auch ich gottseidank das Glück, mich vor dem Massenbetrieb zurückziehen zu können. Mein wertvollster Grundbesitz war, neben meinem Elternhaus, ein schlichtes hölzernes Sommerhäus´l auf einer Anhöhe, umrahmt von uralten Obstbäumen, etlichen Rosen und unserem Gemüsegarten. Von dort konnte ich über den Bodensee bei Föhnstimmung bis weit in die Vorarlberger Alpen blicken, sogar hinüber in die Schweiz; vom Appenzeller Gebirge bis zum wetterfesten Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau im Berner Oberland. Und weit entfernt von all dem Getöse drunten am See und im Städt´l…
In jedem Sommer kam dann die Zeit, von langer Vorfreude begrüßt, in der ich Wochen bei Bildhauersymposien in Westböhmen verbringen konnte, erst im Böhmerwaldstädt´l Nepomuk, und daran anschließend in Bad Konstantinbad, unweit der weltbekannten Kurstadt Marienbad. Wie es sich für die meist sehr naturverbundenen Böhmen gehört, habe auch ich dort meinen böhmischen „Blanik“, die nahegelegene Burgruine Schwanberg, auserkoren, zu deren erhalten gebliebenen Kapelle ich öfter des Abends emporstieg; am Jahrhunderte alten Burgfried sitzend, erfüllt und zufrieden den Tag ausklingen lassen; über das Pilsener Land hinüber zum Großen Arber und Kubani im Böhmerwald zu blicken.
Und nun, südlich des Alpenhauptkammes heimisch geworden, sind es des Abends nur wenige Schritte von unserem altertümlichen Zuhause zu meinem steirischen „Blanik“. Auf der Wanderkarte eine namenlose Anhöhe, lediglich mit der Bezeichnung „455“ und einem Bildstocksymbol bezeichnet. In der Wirklichkeit ein heiliger Ort, mit Marterl und zwei wunderbaren Solitärbäumen; einer mächtigen Sommerlinde und daneben ein uralter Mostbirnbaum. Zögernd scheidet das Licht. Aber noch lange steht die Felsnase der Riegersburg klar und scharf gegen die Koralpe im helleren Westen, bis endlich die Nacht den verblassenden Tag in ihrem blauen Mantel fängt und das Sternenheer uns behütet für einige Stunden ruhen läßt, am Scheideweg zwischen Zeit und Ewigkeit.
Ich aber ziehe hinab durch die Felder und den schweigenden Wald, heim zum Engelwirth; froh und getrost mit einer Welt des Erlebens zwischen gestern und heute. Und mit einer Lust zur Arbeit für all die nächsten Tage.